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Der Arbeitsdienst auf Neuwerk
von Kurt Eisermann

Bei einem Besuch auf Neuwerk fallen den Besuchern im Südosten der Insel und im angrenzenden Watt Lahnungen auf, die vor sich hin verrotten. Sie erinnern an die Tätigkeit des Arbeitsdienstes seit 1932.

Reste von Lahnungen im Südostteil der Insel Neuwerk / 2021
Quelle:Kurt Eisermann

Reste von Lahnungen im Südostteil der Insel Neuwerk / 2021
Quelle:Kurt Eisermann

Im Jahre 1932 kamen junge Männer aus Cuxhaven für 30 Wochen zum Arbeiten nach Neuwerk. Es handelte sich um Arbeitslose, die sich freiwillig gemeldet hatten, um auf der Insel, Arbeiten zum Nutzen der Allgemeinheit zu verrichten. In der schweren Zeit nach dem „Schwarzen Freitag“ 1929 und der Weltwirtschaftskrise hatte die Reichsregierung einen Freiwilligen Arbeitsdienst (FAD) geschaffen, um jungen Arbeitslosen eine Beschäftigung zu geben. Durchgeführt wurden die Maßnahmen von der „Technischen Nothilfe“, der Vorgängerorganisation des THW. In Cuxhaven war der Freiwillige Arbeitsdienst mit Arbeiten bei Duhnen und Arensch beschäftigt. Dort wurden junge Hamburger eingesetzt.

Arbeitsmaterial wird von einer Schute auf eine Pier vermutlich auf der Südseite der Insel verladen.

Quelle: Kurt Eisermann

Der provisorische Schienendamm war für den Materialtransport der Lorenbahn errichtet worden. Im Hintergrund das Versorgungsschiff.

Quelle: Kurt Eisermann

Eine Materialschute vor der Neuwerker Südseite
Quelle: MB

Rechts das Rad - Lager auf Neuwerk.
Quelle: Stadtarchiv Cuxhaven, Fotokennung 5c-05872

Sturmflut 1938, die Wellen schlagen die Schutzmole hoch.
Quelle: Kurt Eisermann

Nach dem Sturm, die Pier mit dem Damm der Lorenbahn sind komplett zerstört.
Quelle: Kurt Eisermann

Auf Neuwerk lebten die Freiwilligen in einem Gebäude auf der Turmwurt, dem sogenannten „Backhaus“. Sie sollten Uferschutzarbeiten verrichten und Neuland im Südosten gewinnen. Trotz der schweren Arbeit, war laut der Cuxhavener Zeitung vom 02.12.1932 die Stimmung gut gewesen. „So geht es jeden Morgen mit frohem Gesang und geschultertem Spaten hinaus ins Watt“. Im Sommer waren Sport und Baden beliebte Freizeitbeschäftigungen während im Winter häufig Vorträge u.ä. angeboten wurden. Auf dem Festland gab es häufig Tanz- und Unterhaltungsabende mit Gästen. Viele verließen ungern den Arbeitsdienst; nicht allen gelang es, einen Arbeitsplatz zu finden. Hervorgehoben wird von der CZ die gute Kameradschaft und das Fehlen von politischen Streitereien in der Schlussphase der Weimarer Republik.
Nach der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten wurde dem Stahlhelm die Leitung des Freiwilligen Arbeitsdienstes übertragen bis der Reichsarbeitsdienst (RAD) geschaffen wurde. Ab 1935 mussten alle jungen Männer ein halbes Jahr im RAD arbeiten. 

Auf Neuwerk war die Arbeitsdienstabteilung 8/170, später umbenannt in 3/173 tätig. Benannt war die Abteilung nach „Berend Jakobsen Karpfanger“ , einem Hamburger Admiral, der im 17. Jahrhundert im Mittelmeer gegen türkische und algerische Korsaren kämpfte und bis zu seinem Tod auf seinem brennenden Schiff ausharrte. „Den Arbeitsmännern der Abteilung Neuwerk ist sein Leben Beispiel höchster Pflichterfüllung.“ (CZ 04.01.1938)

 

Zeitweilig waren bis zu 200 Mann auf der Insel; für sie wurde 1935 bei dem heutigen Sportplatz ein Barackenlager gebaut. Für die gesundheitliche Betreuung kam ein Lagerarzt auf die Insel.

Ein Kabel wurde vom Festland auf die Insel verlegt, um Strom für die Flakscheinwerfer zu erhalten. Erst in den 1950er Jahren wurde ein Stromkabel verlegt, das Strom für die Neuwerker lieferte.
Quelle: Kurt Eisermann

Das RAD - Lager auf Neuwerk
Quelle: Kurt Eisermann

Die Arbeiten bestanden weiterhin in Uferbefestigung, Deichschutz und vor allem in der Neulandgewinnung. Über die Arbeiten schrieb die Cuxhavener Zeitung vom 04.01.1938: „mit dem Gesang: Wir tragen das Vaterland in unserem Herzen.
Denn wir sind das Reich.

Und wir sind der Deich

Um Volk und Arbeit und Freiheit zugleich.“  ging es zur Arbeit.

 

„Zur Hauptsache führt die Abteilung Landgewinnungsarbeiten an der Süd- und Südostküste der Insel durch. Hier wurden zunächst durch Vortreiben von Stacks und Lahnungen entsprechende Stillwasserbereiche von etwa 10 Morgen (2,5 Hektar) geschaffen, um ein Absinken des Schlicks zu erreichen. Das Material für diese Stacks muß mit einer Schute, der „Hundebalje“ oder „Eitzenbalje“, herangebracht werden. Die Abteilung ist mit dem Ausheben von Grüppgräben und Abzugsgräben beschäftigt. Der sich ablagernde Schlick muß immer wieder ausgehoben werden. Nach den gemachten Erfahrungen beträgt die jährliche Aufschlickung etwa 10 – 15 Zentimeter.

 

Eine weitere Arbeit der Abteilung ist die Wiederherstellung und Befestigung des Uferschutzes an der Nordwest und Nordküste der Insel. Hier rennt die Gewalt des Sturmes immer wieder gegen das mit großen Findlingen geschützte Ufer an und richtet beträchtlichen Schaden an. Das gesamte Material für die Befestigung muß auch hier mit Schuten bis ans Watt gebracht werden. Von dort muß es mit Loren abgefahren werden.“

 

Im Sommerhalbjahr wurde eine kleine Gruppe nach Scharhörn geschickt, wo sie dazu beitrugen, die Insel zu erhöhen.

 

Die jungen Männer lebten in Stuben mit 14 Stockbetten. In ihren Spinden befanden sich wenige persönliche Sachen und ihre Kleidung: von der Unterwäsche bis zu Arbeitsanzügen und einem Tuchanzug. Dazu kamen noch Kochgeschirr, Feldflaschen u.ä. Ein großer Raum war Speise- Schulungs- und Aufenthaltsraum.

 

Gearbeitet wurde nur am Vormittag. Am Nachmittag standen Sport und Schulung auf dem Programm. Dazu kam noch Exerzieren mit ihrem wichtigen Arbeitsgerät, dem Spaten. Freizeit gab es nur wenig. In die Freizeit fielen auch kulturelle Veranstaltungen am Abend und an Sonntagen.

Obwohl die Arbeiter des RAD nicht unmittelbar dem Militär unterstellt gewesen sind, war der strenge Drill trotzdem ebenso gewesen.
Quelle: Kurt Eisermann

Quelle: Kurt Eisermann

Jörg Petersen läßt in seinem Artikel „ Schuften auf der Insel beim Reichsarbeitsdienst Neuwerk.“ Allgemeiner Haushaltungskalender , Stade 2016 den Zeitzeugen Heinrich Hilker, der im Sommer 1938 auf Neuwerk beim Reichsarbeitsdienst arbeitete, zu Wort kommen: „ Wir haben uns im Lager völlig unabhängig versorgt. Wir mussten alles selber machen: Stube putzen, Betten machen, kochen und backen, Kleidung waschen und reparieren, Toiletteneimer leeren, die Anlage und Gebäude pflegen.“

 

In den Zeitungsartikeln wird immer wieder auf die harte Arbeit auf der – im Winterhalbjahr sehr einsamen Insel – und die Kameradschaft hingewiesen. Auch die schönen Seiten werden nicht vergessen. „Nicht nur Sturm weht über Neuwerk. Wenn an stillen Sommerabenden die Sonne über Scharhörn untergeht, wenn das Festland als dunkler Streifen langsam verschwindet und die Arbeitsmänner am Deich sitzen und über das Watt schauen, dann sind das unendlich schöne Stunden. Handharmonikas lassen ihre Weisen erklingen, Geigen mischen sich darein. Alles schweigt und man erlebt tief die Schönheit der Natur.“ (Cuxhavener Tageblatt 08.02.1936) Auf einer Ansichtskarte eines Arbeitsmannes heißt es dagegen : „liebe Grüße von der langweiligsten Insel“.

 

Über das Verhältnis zwischen den über 60 Neuwerkern und den vielen Arbeitsmännern ist in den Zeitungen nichts zu lesen. Über erhebliche Spannungen kann man dagegen in einer Akte im Stadtarchiv erfahren. 1934 beklagt sich der Stabsleiter der Gruppe in Briefen an den Cuxhavener Bürgermeister. In dem extrem trockenen Sommer hatten mehrere Arbeitsmänner in einem fast ausgetrockneten Teich in mühevoller Arbeit den Schlamm entfernt. Laut Gewohnheitsrecht sollten die Arbeiter als Belohnung die im Teich lebenden Aale bekommen. Aber in der Nacht zuvor hatten die Neuwerker alle Aale rausgefischt.

Pause nach dem Untericht
Quelle: Kurt Eisermann

Rechts eine Baracke des Reichsarbeitsdienstes auf dem heutigen Sportplatz.
Quelle: MB

Reinigung des Arbeitsgeräts
Quelle: Kurt Eisermann

Schwierige Arbeitsbedingungen, ein Kettenfahrzeug (Sd.Kfz.8) ist im Schlick eingesackt.
Quelle: Kurt Eisermann

Auch sonst schreibt er wenig Gutes über die Neuwerker. Ein Neuwerker hätte sich geweigert, Proviant für das Lager auf seinem leeren Wagen mitzunehmen, und zwei kranke Arbeitsmänner durften nicht auf seinem Wagen mitfahren. Dem Gemeindevorsteher wurde „nichtnationalsozialistisches Verhalten gegenüber den Arbeitsmännern“ vorgehalten, denn auf die Aufforderung, den Arbeitsmännern bei der großen Hitze und der schweren Arbeit einige belegte Brote und Milch zu reichen, hätte der Gemeindevorsteher gesagt, „daß er mit solchen Sachen seinen Leuten nicht kommen dürfe.“

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Landgewinnungsarbeiten eingestellt, denn die Ablagerung von Sedimenten (Aufschlickung) war einfach zu gering. All die Plackerei der jungen Männer, war letztendlich vergebens gewesen.

Schwere körperliche Arbeit an der Handramme. Im Hintergrund ein mobiler Flakscheinwerfer.
Quelle: Kurt Eisermann

Ein Arbeitstrupp marschiert vor dem Neuwerker Turm
Quelle: Kurt Eisermann

Freizeit, Putz und Flickstunde.
Quelle: Kurt Eisermann

Die Baracken im Hintergrund müssen unmittelbar hinter der Inselschule gestanden haben. Ihr Zweck ist bisher nicht ganz klar. M.B.
Quelle: Kurt Eisermann

Blick vom Turm nach Norden, links das Lager des Reichsarbeitsdienstes Neuwerk (RAD). Dahinter ein Beobachtungsturm, rechts davon die heutige Schule, dann "Haus Seeblick". Im Hintergrund die Nordbake.
Quelle: M.B.

Quellen: Zeitungen der Zeit und Akte „Streitereien auf Neuwerk“ im Stadtarchiv Cuxhaven

Jörg Petersen, Schuften auf der Insel beim Reichsarbeitsdienst Neuwerk.   …Allgemeiner Haushaltungskalender , Stade 2016

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